Bei manchen Personengruppen wirken die Corona-Impfstoffe nicht wie erhofft. Davor warnt jetzt STIKO-Präsident Thomas Mertens. FOCUS Online zeigt, woran das liegt, wer davon besonders betroffen ist und warum das eine breite Durchimpfung der Bevölkerung noch wichtiger macht.
Gegen Covid-19 geimpft und trotzdem an Covid-19 erkrankt? Von diesem Phänomen berichteten in den vergangenen Monaten immer wieder Altenheime und Pflegeinrichtungen. Dort hatten sich Bewohner trotz Impfung mit Corona infiziert und zeigten Symptome. Zwar bietet eine Impfung nie einen 100-prozentigen Schutz. Auch ist bislang nicht geklärt, ob sie tatsächlich vor einer Ansteckung schützt. Einen Schutz vor schweren Verläufen sollte sie allerdings bieten.
Etlichen Menschen fehlt wohl trotz Impfung ein ausreichender Covid-19-Schutz
Es gibt jedoch offenbar Gruppen, bei denen die Vakzine nicht so umfassend wirken wie erhofft. Das hat weniger mit dem Impfstoff als mit dem Immunsystem oder der medikamentösen Einstellung der Betroffenen zu tun. Und es gilt nicht nur für ältere Menschen: „Es gibt inzwischen mehrere Studien, die zeigen, dass die Impfung gegen Covid-19 bei Menschen, deren Immunsystem medikamentös gebremst wird, nicht so gut wirkt wie bei anderen“, erklärt Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO) den Zeitungen der Funke Mediengruppe am Freitag. „Abhängig vom Ausmaß der Immunsuppression und den verwendeten Medikamenten ist die Immunantwort sogar trotz vollständiger Impfung deutlich schlechter oder fällt ganz aus“, sagte Mertens. Studien dazu würden derzeit durchgeführt.
Der STIKO-Chef geht deshalb davon aus, dass etliche Menschen trotz vollständiger Impfung keinen wirksamen Corona-Immunschutz aufgebaut haben. Im Moment könne man laut Mertens noch nicht abschätzen, wie groß die Gruppe der Patienten sei, die trotz vollständiger Impfung keinen oder einen zu geringen Immunschutz aufgebaut hätte. „Wir müssen aber davon ausgehen, dass es nicht nur Einzelfälle sind.“
Betroffen sind laut dem Stiko-Vorsitzenden folgende Gruppen:
1. Patienten nach einer Organtransplantation
Im Mai hatte eine US-Studie gezeigt, dass Impfungen bei Patienten, die nach Organtransplantationen dauerhaft immunsupprimierende Medikamente einnehmen müssen, nur eine beschränkte Wirkung haben. Auch nach der zweiten Dosis eines mRNA-Impfstoffs kam es nur bei etwa der Hälfte der rund 650 untersuchten Patienten zum Anstieg von Antikörpern gegen Sars-CoV-2.
Wird ein Organ transplantiert, müssen Patienten lebenslang Medikamente einnehmen, die verhindern, dass der Körper das fremde Organ abstößt. Man spricht hier von Immunsuppressiva, die Präparate unterdrücken die Abwehrreaktion des Immunsystems. Damit sind Patienten anfälliger für Infektionen und auch die Wirksamkeit von Impfstoffen ist geschwächt.
2. Krebspatienten
Auch Krebspatienten nehmen häufig Medikamente ein, die die Immunreaktion unterdrücken. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) und andere Experten befürworten zwar im Allgemeinen eine Corona-Impfung bei Krebspatienten. Immerhin sind sie aufgrund ihres oftmals durch Chemotherapie geschwächten Immunsystems besonders gefährdet, schwer an Covid-19 zu erkranken.
Wie wirksam die ersten Corona-Impfstoffe bei Krebspatienten in ihrer individuellen Erkrankungssituation sind, kann zum jetzigen Zeitpunkt laut Deutschem Krebsforschungszentrum allerdings nicht sicher beantwortet werden. Gleiches gelte auch für eine Corona-Impfung unter bestimmten Krebstherapien wie einer Chemotherapie.
Denn Personen, deren Immunsystem durch die Krebserkrankung oder die Krebstherapie stark unterdrückt ist, sind unter den Probanden der bisherigen Zulassungsstudien nicht vertreten. Experten gehen aber davon aus, dass die Impfung bei Menschen mit beeinträchtigtem oder unterdrücktem Immunsystem nur eingeschränkt wirksam ist. Onkologen sprachen sich daher im April sogar dafür aus, Betroffenen früher eine zweite Impfdosis zu verabreichen. Schon drei Wochen nach der ersten Impfung sollten Krebspatienten die zweite Dosis erhalten, erklärten
etwa Forscher vom Francis Crick Institute in London, nachdem sie die Antikörperkonzentration von Krebspatienten mit denen von Gesunden nach der Impfung verglichen hatten.
Forschungsergebnisse der Polyklinik Saint Jean bei Nizza stützen diesen Vorschlag: Die Wissenschaftler hatten bei rund 100 Krebspatienten mit Tumoren und 30 Gesunden jeweils drei bis vier Wochen nach den beiden Impfdosen die Antikörperkonzentration bestimmt. Das Ergebnis: Nach der ersten Impfung waren nur bei 48 Prozent der Krebspatienten nachweisbar, nach der zweiten hingegen bei 95 Prozent. Die gesunden Menschen hatten schon nach der ersten Impfung zu 95 Prozent Antikörper.
3. Rheumapatienten
Reduziert ist die Immunantwort auf eine Impfung laut Mertens auch bei Rheumapatienten. Wie die Deutsche Rheuma-Liga schreibt, bilden zwar die meisten Rheumapatienten nach der Impfung schützende Antikörper – die Antikörperbildung scheint aber etwas schwächer ausgeprägt zu sein als bei gesunden Menschen. Dabei beruft sich die Liga auf erste Studienergebnisse.
Nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie seien allerdings die meisten Rheumapatienten dennoch zumindest vor einem schweren Covi-19-Verlauf geschützt.
4. Ältere Menschen
Auch bei älteren Menschen kann es vorkommen, dass die Impfung nicht wie erhofft wirkt. Das erklärt die Ausbrüche in Pflegeheimen. Um dieses Phänomen besser zu verstehen, hatte ein Forschungsteam der Charité einen solchen Ausbruch in einer Berliner Einrichtung analysiert und die Immunreaktion älterer Menschen auf die Impfung untersucht. Die im Fachblatt „Emerging Infectious Diseases“ veröffentlichten Ergebnisse belegen: Die Impfung ist wirksam, aber deutet die Studie auch auf eine verzögerte und leicht reduzierte Immunantwort bei Älteren hin.
Für die Untersuchung arbeiteten die Forschenden zunächst einen Ausbruch in einer Berliner Pflegeeinrichtung auf, der im Februar bemerkt worden war. Dabei hatten sich – neben elf Pflegekräften ohne vollständigen Impfschutz – auch 20 Bewohnerinnen und Bewohner mit Sars-CoV-2 angesteckt. Bis auf vier von ihnen waren alle vollständig mit dem Biontech/Pfizer-Vakzin geimpft. Während die vier Ungeimpften so schwer erkrankten, dass sie in einem Krankenhaus behandelt werden mussten, zeigte nur rund ein Drittel der Geimpften Krankheitszeichen wie Husten oder Atemnot.
Durch eine Bestimmung der Virusmenge in den Abstrich-Proben stellte das Team fest, dass Geimpfte tendenziell weniger Virus im Rachen aufwiesen als Ungeimpfte. Bei ihnen wurde das Virus zudem über einen deutlich kürzeren Zeitraum nachgewiesen, im Schnitt über knapp acht statt 31 Tage. „Auf der einen Seite sehen wir an diesem Ausbruch, dass die Impfung die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheims insgesamt geschützt hat, denn ihre Krankheitsverläufe waren deutlich milder“, sagt Victor Corman, Stellvertretender Leiter des Konsiliarlabors für Coronaviren am Institut für Virologie der Charité und einer der drei leitenden Autoren der Studie.
Der Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) ergänzt: „Die kürzere Virusausscheidung hat außerdem vermutlich weitere Übertragungen verhindert. Gleichzeitig wird durch die Häufung der Infektionen klar, dass die hohe Wirksamkeit der Impfung bei alten Menschen manchmal nicht voll zum Tragen kommt.“
Sind Patienten aufgrund der Einnahme von Medikamenten oder ihres Alters gefährdet, keine ausreichende oder langanhaltende Immunität aufzubauen, könnte möglicherweise eine dritte Impfung oder eine regelmäßige und frühere Auffrischung helfen. Studien untersuchen derzeit, inwieweit Betroffene von einer solchen Impfung profitieren könnten.
Was können Angehörige tun?
Als Angehörige können Sie selbstverständlich nichts an der Impfreaktion der Betroffenen ändern. Sie können aber dabei helfen, das Infektionsrisiko für die Patienten zu reduzieren. Hierzu ist es wichtig, dass Kontaktpersonen sich impfen lassen, um die gefährdete Risikogruppe besser zu schützen. Das Umfeld sichert sich ab, „man nennt das Kokonstrategie“, so Mertens.
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